Der Femizid an Nadera G. in Crimmitschau macht uns wütend und traurig zugleich. Wir kannten Nadera G. gut und haben sie mehrere Monate begleitet. Umso heftiger sitzt der Schmerz, zu sehen, dass alles, was in unserer Macht stand, nicht gereicht hat, um sie und ihr Leben zu schützen.
In Momenten wie diesen ist die Frage nach dem “Warum konnte das passieren?” überall präsent, bei uns, bei Frauen- und Migrantinnenorganisationen sowie in den Medien. Diese Frage ist berechtigt und wir stehen Seite an Seite mit allen, die für das Recht auf ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben kämpfen. Wir möchten mit diesen Zeilen etwas mehr Klarheit über die Geschehnisse bringen und die Fallstricke der Justiz aufzeigen.
Der Ex-Partner von Nadera G. (im folgenden mutmaßlicher Täter, da noch keine Verurteilung stattfand) war ihr gegenüber gewalttätig. Da von ihm eine große Gefahr ausging, waren Nadera G. und ihre Kinder über mehrere Monate hinweg bei Wildwasser ZWICKAUer Land e.V. in einem sicheren und anonymen Frauenschutz sowie in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Ende September stellte sie mit unserer Unterstützung einen Eilantrag auf ein Kontakt- und Näherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz. Dieses wurde kurz darauf bis in das Frühjahr 2023 für den mutmaßlichen Täter ausgesprochen. Die Sicherheit und der Schutz von Nadera G. wurden somit rechtlich untersetzt. Dann zog sie gemeinsam mit ihren Kindern in eine Mutter/ Vater- Kind- Einrichtung, die genügend Platz und weiterführende Unterstützung für sie bot.
Im Dezember 2022 kam es auf Antrag des mutmaßlichen Täters, zu einer Anhörung im Familiengericht Zwickau, den Gewaltschutzbeschluss betreffend. Der Anwalt von Nadera G. informierte das Gericht an dem Tag, dass er erkrankt sei und bat um ihre Zustimmung, die Anhörung verschieben zu lassen. Nadera G. wollte den Termin der Anhörung trotzdem wahrnehmen und bat eine Mitarbeitende des Jugendamtes sowie eine Mitarbeiterin unseres Vereins, um Begleitung zum Familiengericht. Unserer Bitte an der Anhörung als fachliche Unterstützerinnen für Nadera G. teilzunehmen, lehnte der Anwalt des Täters ab und die verhandlungsführende Richterin gab dem statt. Somit wurden wir aus dem Verfahren ausgeschlossen. Nadera G. musste sich daraufhin allein mit ihrer Dolmetscherin, dem gegnerischen Anwalt und der Familienrichterin im Gericht dem Verfahren stellen.
Im Ergebnis dieser Anhörung wurde vermeintlich einvernehmlich entschieden, dass der Täter einen Anspruch auf Umgang mit seinen Kindern hat. Gleichzeitig wurde der bestehende Gewaltschutzbeschluss durch das Familiengericht aufgehoben.
Damit wurde Frau Nadera G. rechtlich der präventive Schutz vor dem mutmaßlichen Täter entzogen und gleichzeitig erhielt dieser das Recht, seine Kinder wieder jederzeit unbegleitet sehen zu dürfen.
Bei einem dieser vom Familiengericht wieder zugelassenen Umgänge in einer Turnhalle der Mutter/ Vater- Kind- Einrichtung tötete der Ex-Partner am 11. Februar 2023 Frau Nadera G. vor den Augen ihrer Kinder.
Es bestürzt uns zutiefst, dass alle in unserer Macht stehenden Maßnahmen nicht ausgereicht haben, Nadera G. dauerhaft zu schützen. Auf eine grausame Weise zeigt dieses Tötungsdelikt einmal mehr, dass die Istanbul-Konvention trotz ihrer Gültigkeit, seit dem 01.02.2018 in Deutschland im Rang einer Bundesgesetzgebung keine vollumfassende rechtliche Anwendung findet.
Artikel 31 der Istanbul- Konvention befasst sich mit dem Sorge- und Umgangsrecht im Verhältnis zur Sicherheit von Müttern und Kindern in Fällen häuslicher Gewalt. Hier wird verlangt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass die Ausübung des Besuchs- und Sorgerechtes nicht die Rechte und die Sicherheit des Gewaltopfers oder der gemeinsamen Kinder gefährdet (Opferschutz vor Umgangsrecht).
Auf diesen Sachverhalt weisen wir in laufenden rechtlichen Prozessen immer wieder hin, aber noch zu oft vergebens. Dazu kommt, dass geflüchtete und migrierte Frauen ohnehin noch weitere Hürden im Gewaltschutz zu überwinden haben. Nadera G. hatte einen Aufenthaltstitel, sie sprach wenig Deutsch. Die intersektionale Komponente im Gewaltschutz muss daher auch in den Gerichten gesehen und adressiert werden.
Wir von Wildwasser ZWICKAUer Land e.V. solidarisieren uns daher mit allen, die sich im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt einsetzen und bitten euch und Sie alle, eben jenen Kampf gemeinsam zu führen.
[1] *Nadra G. war der Name, der in den offiziellen Dokumenten stand. Migrantinnenorganisationen sprechen immer von Nadera. Bei geflüchteten und migrierten Menschen kann es vorkommen, dass aufgrund von fehlender Sprachmittlung und fehlender Sensibilisierung in den Behörden falsche Namen registriert werden. Wir möchten keine rassistischen Motive reproduzieren und auf diese Dynamik hinweisen. Aus diesem Grund sprechen wir im weiteren Verlauf von Nadera G.
Die intersektionale Komponente im Gewaltschutz muss auch in den Familien- und Gewaltschutzverfahren gesehen und adressiert werden. Eine intersektionale Perspektive betrachtet alle Diskriminierungsformen und ihre Verschränkungen miteinander. Dazu gehören neben der Betrachtung von Geschlecht, Behinderung, Rassismuserfahrungen, die soziale oder ethnische Herkunft, der sozio-ökonomische Status oder Migrations-und Fluchtgeschichte uvw.[1]
Gewaltschutz ist i.d.R. auf individuelle, körperliche Gewalt bezogen. Mit einer intersektionalen Perspektive wird hingegen der Zusammenhang von direkter, individueller und struktureller Gewalt in den Blick genommen. Im Falle von geflüchteten Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, würde das bedeuten anzuerkennen, dass sie als geflüchtete Frauen nicht nur von geschlechtsspezifischer Gewalt durch ihren Ex-Partner/Ehemann, sondern auch von rassistischen Strukturen in und durch die Behörden und Gerichten diskriminiert werden können. Weiterhin gibt es für diese Gruppe von Frauen Gesetze, die ihren Gewaltschutz verhindern können. Dazu gehören u.a. Wohnsitzauflagen, unsichere Aufenthaltstitel, finanzielle Abhängigkeiten usw. Alle diese Komponenten können damit einen Einfluss auf ihren Gewaltschutz haben.
In dem Feature “Ihre Angst spielt hier keine Rolle” von Marie von Kuck, wird klar, dass die intersektionale Perspektive oftmals im Gericht keine Anwendung findet. In der Folge geht es um viele tragische Geschichten, bei denen Frauen und Kinder trotz zahlreicher Beweise durch Fotos oder Zeug*innenaussagen mit dem Gewalttäter Umgänge haben müssen. Betroffene erzählen von sich immer wieder ähnelnden Szenarien, bei denen unter hohem Druck auf die Betroffenen “einvernehmliche” Entscheidungen zu einem Umgang oder Wechselmodell getroffen werden.
Das liegt nicht zuletzt an einer immer stärker werdenden Väter-Lobby, aber selbstverständlich auch an patriarchalen Denkmustern in der Justiz. Und vor allem: an dem fehlenden Willen, die Istanbul-Konvention als geltendes Recht hier in Deutschland und auch in den Gerichten umzusetzen!
[1]
Mehr Informationen zum Thema Intersektionalität finden Sie auf der Seite des Gunda-Werner-Institutes unter
https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet oder im Interview mit Dr. Emilia Roig unter
https://www.fes.de/akademie-management-und-politik/veroeffentlichungen/mup-interviews/mit-intersektionalitaet-zu-einer-gerechteren-gesellschaft